Die Herstatt-Bank: Eine Geschichte von Aufstieg und Fall, die Deutschland prägte Haben Sie schon einmal von einer Bank gehört, deren Zusammenbruch das deutsche Finanzsystem erschütterte? Die Herstatt-Bank, eigentlich I. D. Herstatt KGaA, war genau so eine Institution. Gegründet und geleitet vom Bankier Iwan David Herstatt, erlebte sie einen rasanten Aufstieg, um dann im Juni 1974 an den Folgen von Devisenspekulationen zu scheitern. Dieser Bankenbruch war die größte Pleite, die es bis dahin in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland gab. Was geschah wirklich hinter den Kulissen dieses dramatischen Ereignisses?
Ein Blick in die Geschichte
Die Wurzeln der Herstatt-Bank reichen weit zurück, bis ins Jahr 1792. Lange bevor Iwan David Herstatt den Namen in die Schlagzeilen katapultierte, existierte bereits ein Vorläuferinstitut. 1727 ließ Isaak Herstatt, ein Hugenotte aus Flandern, sich in Köln nieder und legte den Grundstein für eine Familiendynastie im Handel, insbesondere mit Seide.
Von Seide zum Bankgeschäft
Aus einer Seiden- und Florettbandweberei entstand 1782 das Bankhaus I. D. Herstatt. Die Brüder Johann David und Jakob Herstatt passten ihr Geschäftsmodell an die damalige Wirtschaftslage an und konzentrierten sich zunehmend auf Kommissions- und Bankgeschäfte. Johann David Herstatt gilt als der erste Bankier der Familie, dokumentiert in den Ratsprotokollen der Stadt Köln von 1792.
Expansion und Beteiligungen im 19. Jahrhundert
Die Herstatt-Bank wuchs im 19. Jahrhundert kontinuierlich. Sie war in Immobilieninvestitionen involviert, insbesondere während der französischen Besatzungszeit, und baute Beziehungen zu wichtigen Industriezweigen wie Montan-, Eisen- und Textilindustrie auf. Kooperationen mit anderen Kölner Privatbanken wie J. H. Stein und A. Schaafhausen’scher Bankverein stärkten ihre Position. Die Bank beteiligte sich auch an der Gründung von Versicherungsgesellschaften wie der Rheinschifffahrts-Assekuranz-Gesellschaft (später Agrippina-Versicherung) und der Kölnischen Feuer-Versicherungs-Gesellschaft (später Colonia-Versicherung). Sogar Friedrich Krupp zählte zu ihren namhaften Kunden.
Neuanfang nach dem Krieg – Iwan David Herstatt übernimmt
Nach einer Phase der Inaktivität erwarb Iwan David Herstatt am 2. Juni 1955 das Kölner Bankhaus Hocker & Co. und benannte es 1955 in „I. D. Herstatt KGaA“ um. Ein entscheidender Partner in dieser Neugründung war Hans Gerling, ein Jugendfreund Herstatts, der mit einer erheblichen Beteiligung einstieg. Die Bank etablierte sich schnell im Wertpapiergeschäft und gewann eine prominente Kundschaft.
Der Aufstieg und das riskante Devisengeschäft
Die Herstatt-Bank erlebte in den 1960er und frühen 1970er Jahren ein rasantes Wachstum. Die Bilanzsumme stieg von 72 Millionen DM im Jahr 1956 auf beeindruckende 2 Milliarden DM im Jahr 1973. Doch diese Expansion basierte zunehmend auf einem riskanten Geschäftsmodell: dem Devisenhandel.
Die “Goldjungs” und die “Raumstation Orion”
Nach der Freigabe der Wechselkurse 1971 entdeckten die Verantwortlichen der Herstatt-Bank das Potenzial der Devisenspekulation. Ein Team junger, ehrgeiziger Händler, genannt die „Goldjungs“, übernahm diese Geschäfte. Unter der Leitung von Dany Dattel operierten sie weitgehend unkontrolliert und nutzten eine interne Abteilung, die sie intern „Raumstation Orion“ nannten, um hohe Gewinne zu erzielen. Sie umgingen interne Händlerlimits durch Strohmänner, welche die Verluste im Falle eines Misserfolgs auf die Bank abwälzten.
Das fatale Missverständnis und der Zusammenbruch
Nach der Ölkrise 1973 kam es zu Fehleinschätzungen bei der Entwicklung des US-Dollar-Kurses. Die Devisenpositionen der Bank wuchsen auf enormes Ausmaß an – 8 Milliarden DM zu Beginn von 1974. Als der Dollar stattdessen verfiel, entstanden massive Verluste. Am 26. Juni 1974 nahm das Bundesaufsichtsamt die Banklizenz der Herstatt-Bank zurück, und am 27. Juni 1974 beantragte die Bank Vergleichsverfahren wegen Überschuldung. Die Nachricht löste einen Bankensturm aus und führte zu einem tiefgreifenden Vertrauensverlust in das deutsche Bankensystem.
Die Folgen und Lehren aus der Herstatt-Krise
Der Zusammenbruch der Herstatt-Bank hatte weitreichende Konsequenzen. Die deutsche Finanzbranche gründete einen Einlagensicherungsfonds, um Sparer vor ähnlichen Verlusten zu schützen. Das Kreditwesengesetz wurde verschärft, und die Bankenaufsicht erhielt strengere Befugnisse. Das Herstatt-Risiko, das Risiko, das durch nicht abgewickelte Devisenhandelstransaktionen entsteht, wurde zu einem Begriff im Bankwesen. Die Geschichte der Herstatt-Bank ist eine Mahnung. Sie zeigt, wie schnell ein erfolgreiches Unternehmen durch übermäßigen Risikobereitschaft, mangelnde Kontrolle und ein falsches Einschätzen der Marktlage scheitern kann. Die Herstatt-Krise prägte die deutsche Finanzlandschaft nachhaltig und führte zu wichtigen Reformen, die das Bankensystem stabilisieren sollten. Die Geschichte der Herstatt-Bank ist ein spannendes Kapitel deutscher Wirtschaftsgeschichte. Sie lehrt uns die Bedeutung von solider Unternehmensführung, Risikomanagement und einer unabhängigen Aufsicht, um die Stabilität unseres Finanzsystems zu gewährleisten.